Aus aktuellem Anlass bringen wir einen Bericht unseres Netzwerkmitglieds Günter Törner, Bottrop.
Den meisten Freunden im Netzwerk Apostolische Geschichte ist der Name Reiner-Friedemann Edel ein Begriff. Seine Dissertation Auf dem Weg zur Vollendung der Kirche Jesu Christi beschäftigte sich mit der katholisch-apostolischen Kirche. Er war Prediger in Hessen, Bayern und Westfalen. Gleichzeitig betätigte er sich als kirchlicher Verleger und vertrieb auch alte katholisch-apostolische (hektografierte) Schriften. Immer wieder flatterten Einladungen zu Andachten seinerzeit in mein Haus. An seinem Wohnsitz in Lüdenscheid-Lobetal gründete er ein Gästehaus, in der er ökumenische Veranstaltungen anbot.
In diesen Tagen hat mich ein evangelischer Pfarrer aus Thüringen auf eine neue Schrift aufmerksam gemacht, die jüngst beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik – kurz BStU – erschienen ist und als PDF heruntergeladen werden kann.
Die Autorin Ann-Kathrin Reichardt beschäftigt sich darin unter dem Titel Schmuggler, Spitzel und Tschekisten mit der Zusammenarbeit des MfS und dem KGB. Unter anderem ging es damals darum, den Transport von Bibeln und theologischen Schriften in die Sowjetunion zu verhindern. Ein Kenner der Szene hat es einmal auf den Punkt gebracht: Die Sowjetunion hat die Bibel gefürchtet wie die Bombe.
Ich zitiere aus der Einleitung der Publikation:
Der Bibel und jeder Art religiöser Literatur wurde eine so hohe gesellschaftliche Sprengkraft unterstellt, dass Zensur und streng limitierte Auflagen nicht ausreichten und die Überwachung der Verbreitung von Bibeln, Gesangbüchern, exegetischen Werken und Büchern zur christlichen Lebensführung in den Aufgabenbereich der Geheimdienste gestellt wurde.
Das erklärt einmal mehr, warum das Mitführen von Bibel und Gesangbuch zu Fortbildungen in einem FDGB-Haus nicht toleriert wurden, wie ich selbst einem Bericht eines neuapostolischen IMs in Mecklenburg entnehmen konnte.
Zu meiner Überraschung entnimmt man der BStU-Publikation auf Seite 77, dass sogar Reiner-Friedemann Edel ein West-IM – mit dem Decknamen Verleger – war. Ich zitiere aus dieser Publikation:
Edel wurde im Dezember 1967 vom MfS zur inoffiziellen Mitarbeit geworben mit der Absicht, kircheninterne Strukturen und Veranstaltungen in der Bundesrepublik auszuspitzeln und ihn perspektivisch in zentrale kirchliche Funktionen zu lancieren.
Es ist hinlänglich bekannt, dass es auch im Westen Personen gab, die sich als IM verdingten. Bei meinen Recherchen bin ich zum Beispiel auf einen Bericht eines neuapostolischen Gottesdienstes gestoßen, den Apostel Wömpner in Duisburg gehalten hat. Ob die Neuapostolische Kirche für das MfS interessant genug war, um auch die Kirchenleitungen in Dortmund oder später in Zürich in den Blick zu nehmen, vermag ich nicht zu beurteilen.
Leider ist von der Edel-Akte nicht mehr viel erhalten. Ich zitiere erneut:
Da von der zu Edel angelegten Akte nur das Formblatt zum Beschluss über die Anlage des IM-Vorgangs, der Personenindex und eine Seite des Abschlussberichtes vorhanden sind, kann seine IM-Tätigkeit nicht im Einzelnen rekonstruiert werden. Er wird aber mit seinem Decknamen in Arbeits- und Perspektivplänen der HA XX in der Zeit ab Ende der 1970er- und in den 1980er-Jahren immer wieder genannt. Demzufolge hatte er seine Aufgaben (auch?) in der Aufklärung westlicher Missionsgesellschaften, namentlich der »Christlichen Ostmission«, und sollte Informationen zum Gustav-Adolf-Werk und einer Gruppe von Baptisten, die aus der Sowjetunion in die Bundesrepublik ausgereist waren, sammeln. … Die Zusammenarbeit Edels mit dem MfS wurde erst Ende 1989 eingestellt.
Ähnliche Erfahrungen habe ich auch gemacht und es gibt eine naheliegende Erklärung: Aktenvorgänge, die noch 1989 aktiv waren, lagen noch nicht im Archiv, sondern meist bei den Führungsoffizieren in deren Zimmer. Was lag näher, als sie als erste zu vernichten.